Ukraine wirbt um deutsche Investitionen - Riesiger Finanzbedarf

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- von Andreas Rinke

Berlin (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj haben um Investitionen in die ukrainische Wirtschaft geworben.

Gesucht werde vor allem die Zusammenarbeit mit deutschen Firmen in den Bereichen Verteidigung und Energie, sagte Selenskyj am Dienstag in einer Videobotschaft zum sechsten deutsch-ukrainischen Wirtschaftsforum in Berlin. "Wer jetzt schon investiert, wird nach dem Krieg eine gute Rendite erzielen", warb er. Kanzler Scholz betonte, dass er sich in der EU dafür einsetzen werde, dass die Ukraine bis Ende des Jahres eine dauerhafte Finanzierungszusage für die nächsten Jahre erhalte.

Die ukrainische Wirtschaft werde in diesem Jahr um vier und im kommenden Jahr um fünf Prozent wachsen, sagte der ukrainische Ministerpräsident Denys Schmyhal. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet dagegen ein Wachstum von zwei Prozent 2023 und 3,2 Prozent im kommenden Jahr. Die Ukraine hoffe, dass die EU noch in diesem Jahr den Startschuss für die Beitrittsverhandlungen gebe, sagte Schmyhal.

Bei der Konferenz wurde auch der riesige Finanzbedarf des Landes offensichtlich, das am Tropf internationaler Geber hängt. Schmyhal fordert von der EU-Kommission für kommendes Jahr 18 Milliarden Euro Budgethilfe wie in diesem Jahr. Im kommenden Jahr liege der Budget-Bedarf an internationalen Finanzhilfen insgesamt sogar bei 42 Milliarden Euro, sagte der Ministerpräsident. Das kriegsgebeutelte Land finanziere mit eigenen Einnahmen vor allem die sehr hohen Militärausgaben. Man wolle die Häfen besser schützen, damit die Ukraine wieder Einnahmen aus Getreideexporten erziele.

SCHOLZ WILL EU ZU LANGFRISTIGEN ZUSAGEN DRÄNGEN

Bundeskanzler Scholz betonte, er wolle erreichen, dass die EU dem Land bis Jahresende eine dauerhafte Finanzzusage gebe. "Schon beim Europäischen Rat Ende dieser Woche werden wir unseren gemeinsamen Willen zur finanziellen Unterstützung der Ukraine bekräftigen", sagte der Kanzler mit Blick auf den EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag. "Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir bis Ende des Jahres die konkreten Lösungen auf den Weg bringen, um eine nachhaltige Unterstützung der Ukraine für die kommenden Jahre zu sichern", fügte er mit Blick auf den EU-Gipfel im Dezember hinzu. Dies ist in der EU noch strittig, weil andere EU-Staaten mehr Geld für andere Aufgaben wie etwa Migrationskosten ausgeben wollen.

Scholz kündigte an, dass die EU eine eigene Ukraine-Fazilität schaffen solle, die Zuschüsse und Darlehen bündele sowie private und öffentliche Investitionen koordiniere. Richtschnur für diesen Wiederaufbau solle ein von der Ukraine selbst erarbeiteter Plan sein, der mit der EU und auch international abgestimmt sei. "Finanzielle Unterstützung wird dort auch mit der Erfüllung wichtiger Reformschritte verbunden", betonte der Kanzler.

WIRTSCHAFT BETONT POTENZIAL

Die deutschen Wirtschaftsvertreter betonten ebenfalls das Potenzial des Landes. "Ungeachtet des Krieges wurde bereits ein Dutzend Investitionsprojekte begonnen. Deutsche Unternehmen bewerben sich aktuell mit 30 weiteren Projektvorhaben um Investitionsgarantien des Bundes", sagte der stellvertretende Ost-Ausschuss-Vorsitzende Christian Bruch. "Der Wiederaufbau ist angelaufen und deutsche Unternehmen engagieren sich." Vor allem in den westlichen und mittleren Landesteilen sei das Kriegsrisiko beherrschbar.

In den ersten acht Monaten 2023 wuchs der deutsch-ukrainische Handel nach Angaben des Ost-Ausschusses um rund 30 Prozent auf 6,2 Milliarden Euro. Zwar gingen die deutschen Importe nochmals um 5,5 Prozent auf 1,8 Milliarden Euro zurück. Die deutschen Exporte nahmen aber um 52 Prozent auf 4,4 Milliarden Euro zu.

Die Wirtschaftsverbände und die ukrainische Führung lobten die verbesserten Investitionsgarantien durch die Bundesregierung. Nötig sei aber, dass die Bundesregierung Transporte durch die Ukraine wegen des Kriegsrisikos staatlich absichere.

Der Rüstungskonzern Rheinmetall bestätigte am Dienstag ein Joint Venture mit der Ukrainian Defence Industry (UDI, früher Ukroboronprom), auf das der ukrainische Ministerpräsident verwiesen hatte. "Das Joint Venture wird in den Bereichen Service- und Wartungsdienstleistungen, Montage, Produktion und Entwicklung von Militärfahrzeugen und zunächst ausschließlich auf dem Staatsgebiet der Ukraine tätig sein", teilte das Unternehmen mit Blick auf eine am 18. Oktober geschlossene Vereinbarung mit.

Schmyhal nannte das Projekt den Auftakt zu einer Reihe von Joint Ventures mit deutschen Rüstungskonzernen. Die Ukraine versucht wieder eine eigene Rüstungsindustrie im Land aufzubauen. Dies ist erst seit der verbesserten Luftabwehr gegen russische Raketen wieder in den Bereich des Denkbaren gerückt.

(redigiert von Hans Seidenstücker. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

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