Iran wählt neuen Präsidenten - Hardliner dominieren

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- von Parisa Hafezi und Sabine Ehrhardt

Dubai (Reuters) - Inmitten des eskalierenden Nahost-Konfliktes wählt der Iran einen neuen Präsidenten.

Eine echte Wahl haben die 61 Millionen Wahlberechtigten am Freitag nicht: Alle vier Bewerber stehen loyal zum Obersten Führer Ajatollah Ali Chamenei. Drei Kandidaten gehören zu den Hardlinern. Kritiker wurden gar nicht erst zugelassen. Ein deutlicher Schwenk in der Politik ist nicht zu erwarten, da nicht der Präsident, sondern der Oberste Führer das Sagen in der Islamischen Republik hat. Spannend ist die stark reglementierte Abstimmung, deren erste Ergebnisse am Samstag vorliegen dürften, dennoch. Der greise Chamenei sucht nicht nur einen äußerst loyalen Präsidenten für das politische Tagesgeschäft. Dieser könnte auch einmal Nachfolger des 85-Jährigen werden oder zumindest Einfluss auf die Bestimmung des nächsten geistlichen und politischen Oberhauptes nehmen.

Zudem ist die Wahlbeteiligung der Maßstab für Unterstützung und die Legitimität der Führung, die mit hoher Inflation und Arbeitslosigkeit sowie Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu kämpfen hat und wegen ihres Mitmischens im Nahost-Konflikt sowie ihrer Atompolitik international unter Druck steht. Chamenei rief daher die Wählerinnen und Wähler auf, ihre Stimme abzugeben. "Die Beständigkeit, die Stärke, die Würde und das Ansehen der Islamischen Republik hängen von der Präsenz der Menschen ab", sagte er. "Eine hohe Wahlbeteiligung ist eine absolute Notwendigkeit."

WAHLBETEILIGUNG IN VERGANGENEN JAHREN DRASTISCH GESUNKEN

Doch die Wahlbeteiligung ist in den vergangenen Jahren gesunken. Bei der Präsidentenwahl 2021 war sie auf 48,8 Prozent gefallen. Damals zeigten sich viele Menschen nicht nur wegen der Wirtschaftskrise, sondern auch wegen des Umganges mit der Corona-Pandemie enttäuscht. Noch niedriger fiel die Beteiligung an der Parlamentswahl im März 2024 aus - sie erreichte ein Rekordtief von rund 41 Prozent, vier Jahre zuvor waren es noch 62 Prozent. Kritiker sehen darin eine Erosion der Legitimität des von Geistlichen und Revolutionsgarden bestimmten Systems.

Sechs Wochen nach dem Tod des Präsidenten Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauberabsturz könnten nun noch mehr Frauen und Männer der Abstimmung fernbleiben - aus Frust und Empörung. Denn im September 2022 hatten sich die heftigsten Proteste seit der Islamischen Revolution im Jahr 1979 am Tod von Mahsa Amini in Gewahrsam nach Festnahme durch die sogenannte Sittenpolizei entzündet. Die junge Frau soll ihr Kopftuch unislamisch getragen haben. Raisi ließ die Massenkundgebungen unter dem Motto "Frau - Leben - Freiheit" mit großer Brutalität niederschlagen. Mehr als 500 Menschen wurden Menschenrechtlern zufolge dabei getötet.

STICHWAHL KÖNNTE AM 5. JULI FOLGEN

Die Wahllokale haben bis 18.00 Uhr (Ortszeit, 16.30 MESZ) geöffnet, meist wird dies bis Mitternacht verlängert. Weil die Stimmen per Hand ausgezählt werden, dürfte es zwei Tage dauern, bis das Endergebnis vorliegt. Erste Zahlen werden wohl schon am Samstagmittag bekanntgegeben. Erreicht keiner die erforderliche Mehrheit von 50 Prozent plus einer Stimme, kommt es am ersten Freitag nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses zur Stichwahl zwischen den beiden Führenden. Dies dürfte der 5. Juli sein.

Mit Parlamentspräsident Mohammed Baker Kalibaf, einem Ex-Kommandeur der Revolutionsgarden, tritt ein bekannter Hardliner an. Zu dieser politischen Gruppe zählt auch Said Dschalili, der ehemalige Chefunterhändler bei den Atomgesprächen und einstige Leiter von Chameneis Büro. Mostafa Purmohammadi ist ein erzkonservativer islamischer Gelehrter und früherer Innenminister. Der einzige vergleichsweise Gemäßigte, Massud Peseschkian, hält zwar an der theokratischen Herrschaft im Iran fest. Er befürwortet jedoch eine Entspannung mit dem Westen, wirtschaftliche Reformen, soziale Liberalisierung und politischen Pluralismus. Peseschkians Chancen hängen davon ab, die Begeisterung reformorientierter Wähler wiederzubeleben, die den letzten Wahlen aus Enttäuschung ferngeblieben sind, weil frühere pragmatische Präsidenten - wie Raisis Vorgänger Hassan Ruhani - kaum Veränderungen gebracht hatten. Peseschkian könnte davon profitieren, wenn es seinen Rivalen nicht gelingt, die Wählerschaft der Hardliner zu motivieren.

Alle Bewerber stellten in Aussicht, sie würden die schwächelnde Wirtschaft wiederbeleben, die nicht nur unter Misswirtschaft und staatlicher Korruption leidet. Sie wird auch belastet durch die Sanktionen, die nach dem Ausstieg der USA aus dem internationalen Atomabkommen wieder verhängt wurden. Alle Kandidaten nutzten im Wahlkampf die sozialen Medien, denn rund 60 Prozent der etwa 87 Millionen Menschen im Iran sind unter 30 Jahre alt. Doch Viele sehen in den Wahlen in ihrer Heimat nicht viel mehr als einen Zirkus. Der Hashtag #ElectionCircus wurde auf der Online-Plattform X weithin gepostet, und im In- und Ausland riefen Iraner zum Wahlboykott auf.

(Bericht von: geschrieben von Sabine Ehrhardt, redigiert von Christian Götz. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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