Regierungswechsel in Großbritannien - Labour löst Konservative ab

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London (Reuters) - In Großbritannien hat die oppositionelle Labour-Partei einen überwältigenden Sieg errungen und stellt mit Parteichef Keir Starmer den nächsten Premierminister.

Er löst damit den glücklosen ehemaligen Investmentbanker Rishi Sunak ab, der seit Oktober 2022 Regierungschef war. Auf Starmer wartet eine ganze Latte an schwierigen Aufgaben, wie etwa die Wirtschaft anzukurbeln und marode öffentliche Einrichtungen wieder auf Trab zu bringen.

Labour gewinnt 412 Sitze und damit 210 mehr als bei der letzten Abstimmung. Die Konservativen kommen auf 121 Sitze, 244 weniger und damit das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Die Liberaldemokraten erringen 71 Sitze, ein Plus von 60. Die rechtspopulistische Partei Reform UK des Brexit-Befürworters Nigel Farage gewinnt vier Sitze. Sie bekam in vielen Teilen des Landes mehr Stimmen als die Konservativen. Farage selbst schaffte bei seinem achten Versuch den Einzug ins Parlament.

Mit dem Sieg von Labour gehen 14 oft sehr turbulente Jahre unter einer konservativen Regierung in Großbritannien zu Ende. "Der Wandel beginnt jetzt", sagte Starmer. "Heute schlagen wir das nächste Kapitel auf, beginnen die Arbeit des Wandels, die Mission der nationalen Erneuerung und beginnen mit dem Wiederaufbau unseres Landes." Trotz seines klaren Sieges herrscht aber laut Umfragen keine Begeisterung für Starmer und seine Partei.

SUNAK WILL AUCH ALS PARTEICHEF HINSCHMEIßEN

Der scheidende Premierminister Sunak kündigte seinen Rücktritt vom Vorsitz der Konservativen Partei in absehbarer Zeit an. "Dem Land möchte ich zuallererst sagen, dass es mir leid tut", wandte er sich in einer Ansprache vor dem Amstsitz Downing Street an die Wähler. Er habe sein Bestes gegeben, aber die Wähler hätten ein klares Signal gesendet. "Ich habe Ihren Ärger und Ihre Enttäuschung vernommen und übernehme die Verantwortung." Noch am Freitag reichte er bei König Charles seinen Rücktritt ein, dann wurd sein Nachfolger beim König vorstellig. Später wollte er sich in einer ersten Ansprache vor seinem neuen Amtssitz in der Downing Street an die Bürger wenden. Die Thronrede des Königs, die das Programm der neuen Regierung darlegt, ist für den 17. Juli geplant.

Die Konservativen, die Tories, bekamen von den Wählern die Quittung für hohe Lebenshaltungskosten, marode öffentliche Einrichtungen, wie dem Gesundheitsdienst NHS, und eine Reihe von Skandalen. Die Steuerlast ist so hoch wie nie seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die Nettoverschuldung entspricht fast der jährlichen Wirtschaftsleistung, der Lebensstandard ist gesunken. Auch das Thema Einwanderung beschäftigt die Briten, viele erwarten eine deutliche Begrenzung. Sie wählten eine ganze Reihe von prominenten Politikern in ihren Wahlkreisen ab. So verlor Liz Truss, Vorgängerin von Sunak als Regierungschefin, ihren Sitz im Parlament. Auch zehn Kabinettsmitglieder erlitten in ihren Wahlkreisen eine Schlappe, darunter Verteidigungsminister Grant Shapps.

STARMER - "GEDULDIGE, ENTSCHLOSSENE ARBEIT"

Starmer, der seit 2020 Labour-Chef ist, hat nun einiges auf dem Zettel. "Ich verspreche Ihnen nicht, dass es einfach sein wird", sagte er. "Ein Land zu verändern, ist nicht wie das Umlegen eines Schalters. Es ist harte Arbeit. Geduldige, entschlossene Arbeit, und wir müssen sofort loslegen." Im Wahlkampf hatte er die Ankurbelung der Wirtschaft zu seinem wichtigsten Ziel erklärt. Geplant ist unter anderem ein Nationaler Wohlstandsfonds, der mit 7,3 Milliarden Pfund (8,6 Mrd Euro) ausgestattet werden soll. Geplant ist auch ein Schub für umweltfreundliche Energieerzeugung. Bis 2030 soll die an Land gewonnene Windenergie verdoppelt, die Solarenergie verdreifacht und die Offshore-Windenergie vervierfacht werden. 8,3 Milliarden Pfund (9,8 Mrd Euro) sollen in das zu gründende staatliche Unternehmen Great British Energy fließen.

Auf Steuererhöhungen will Labour verzichten. In der Haushaltspolitik wird einer von Sparzwängen bestimmten Austeritätspolitik eine Absage erteilt. Angestrebt werden aber ausgeglichene Haushalte, in denen sich Ausgaben und Einnahmen die Waage halten. Neue Finanzministerin könnte Rachel Reeves werden, die früher bei der Bank of England arbeitete. Sie wäre damit die erste Frau auf diesem Posten in Großbritannien.

Der Sieg der Labour-Partei trieb den Londoner Aktienmarkt und das Pfund an. Der FTSE 100 gewann am Freitag in der Spitze 0,5 Prozent. Das Pfund notierte mit 1,2781 Dollar auf dem höchsten Stand seit dreieinhalb Wochen. Gefragt waren Aktien von Bauunternehmen, die von der Hoffnung auf Wohnbauprojekte profitierten.

(Bericht von Andrew MacAskill, Elizabeth Piper and Alistair Smout, geschrieben von Myria Mildenberger.; Redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte)

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